3.2 Die Zentrumspartei und das Ermächtigungsgesetz

Abstimmungsstrategie im RT

Um die nötige Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz im Reichstag zu erlangen, wollte sich Hitler die Stimmen der Abgeordneten durch massive Propaganda und unzweideutige Drohungen sichern.
Am Tag von Potsdam gab sich Hitler ganz als bürgerlicher Politiker, der sich zur preußischen Militärtradition bekannte . Bis auf das Zentrum waren die bürgerlichen Parteien der Mitte am Tag von Potsdam überzeugt worden, nun galt es, das Zentrum zum „Ja“ zu bewegen.

Eine Verhandlungsdelegation des Zentrums hatte Hitler und Frick die Bedingungen für eine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz genannt: Sie waren verfassungspolitischer und kirchenpolitischer Natur: Anerkennung der bestehenden Länderkonkordate, Sicherung des christlichen Einflusses in Schule und Erziehung, Wahrung der Rechte des Reichspräsidenten, Beibehaltung der Unabhängigkeit der Richter, sowie vor allem Pflege und Verbesserung der Beziehung zum Vatikan. Exkanzler Brüning und eine Minderheit in der Zentrumspartei warnten vor einem Handel mit den Nazis, den diese doch nicht einhalten würden.
Prälat Ludwig Kaas, ein Verfechter einer autoritären nationalen Sammlungspolitik, hingegen war der Ansicht, dass das Ermächtigungsgesetz nichts an der Herrschaft Hitlers ändere, weite Teile des Zentrums wünschten ein besseres Verhältnis zur NSDAP und seinen kaum noch daran zu hindern, in das Lager Hitlers zu wechseln.
Das Trauma des Kulturkampfes im Bismarckreich belastete das Zentrum; man wollte nicht nochmals ins politische Abseits und in die Rolle des Reichsfeindes geraten. Zudem glaubte man in weiten Teilen des Zentrums wie bei den anderen bürgerlichen Parteien, Hitlers Popularität und Macht werde sich bald in der Regierungsverantwortung verbrauchen. Infolge all dieser Tatsachen sei eine Vereinbarung mit Hitler das kleinere Übel und bot die vermeintliche Chance, einige Vorstellungen zu retten bzw. durchzusetzen. Einer der Gründe für die Zustimmung der Zentrums-Fraktion war ein angekündigter Brief von Hitler, in dem dieser auf Betreiben von Brüning dem Zentrum die verlangten verfassungspolitischen Zusicherungen schriftlich geben würde, vor allem die Zusage, nur unter bestimmten Bedingungen vom Ermächtigungsgesetz Gebrauch zu machen.

Nach dem Ende der Beratungspause nach Hitlers Rede in der Kroll-Oper war der Brief noch nicht eingetroffen, aber Hitler versicherte, er sei unterwegs und werde noch während der Abstimmung eintreffen. Prälat Kaas beruhigte Brüning: „Wenn er irgendwie Hitler je geglaubt hätte, so müsse er es nach dem überzeugenden Ton dieses Mal tun.“ (Brüning, Memoiren, S. 696)

Der Brief traf nie ein.



Um die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen, war den Nationalsozialisten jedes Mittel recht. Die notwendige Zweidrittelmehrheit verschafften sich die Nationalsozialisten durch Verhaftung von Abgeordneten, durch Kassation von Mandaten, durch Täuschung und schließlich durch Terrorisierung der anderen Parteien.
Voraussetzung für die Annahme eines verfassungsändernden Gesetzes war eine „doppelte Zweidrittelmehrheit“, d.h. zwei Drittel der Mitglieder des Reichstages mussten bei der Abstimmung zugegen sein, von denen wiederum zwei Drittel ihre Zustimmung geben mussten. Da die 81 Abgeordneten der KPD-verhaftet wurden und erst gar nicht zur Eröffnungssitzung eingeladen wurden, mussten bei der Abstimmung von den verzeichneten 647 Abgeordneten nur noch 378 anwesend sein. Deshalb hatte Frick dafür plädiert, die kommunistischen Mandate nicht zu kassieren, da anderenfalls 432 Abgeordnete hätten anwesend sein müssen.
Die NSDAP (288 Abgeordnete) brachte es mit den Stimmen der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ (53 Mandate) auf insgesamt 341 Stimmen. Damit hätte die „Regierung der nationalen Erhebung“ nach dem Wortlaut der Verfassung bereits aus eigener Kraft gegen die Stimmen der anderen Parteien das Gesetz durchbringen können, wenn nicht mehr als 511 Abgeordnete an der Sitzung teilnehmen würden.
Die Zahl der Jastimmen erhöhte sich noch um möglicherweise 32 Stimmen der bürgerlichen Parteien , womit man bereits mit 373 Stimmen für das Ermächtigungsgesetz rechnen konnte und sogar 559 Abgeordnete an der Sitzung hätten teilnehmen können. Nun hatten die Nationalsozialisten lediglich noch dafür Sorge zu tragen, dass neben den 81 verhafteten KPD-Abgeordneten weitere 8 Parlamentarier der Abstimmung fern blieben. Dies war kein Problem, da die Regierung bereits mindestens 15 der 120 SPD-Mitglieder auf Grund des „Schutzhafterlasses“ unter Arrest gestellt worden waren.
Um absolut sicher zu gehen, dass die SPD nicht durch ein geschlossenes Fernbleiben den Reichstag beschlussunfähig machen konnten, änderten die Nationalsozialisten die Geschäftsordnung des Reichstags: Bei der Abstimmung bestand Anwesenheitszwang, unentschuldigte Abgeordnete sollten als anwesend gelten. Wer aber unentschuldigt war und demnach bis zu 60 Tagen von der Sitzung ausgeschlossen werden konnte, darüber durfte der Reichstagspräsident befinden:

„Wer ohne Urlaub oder infolge einer Erkrankung, die dem Abgeordneten die Teilnahme nicht tatsächlich unmöglich macht, an Vollsitzungen, Ausschusssitzungen und Abstimmungen nicht teilnimmt, kann durch den Präsidenten bis zu 60 Sitzungstagen von der Teilnahme an den Verhandlungen ausgeschlossen werden.“ Gekoppelt wurden diese Bestimmungen mit dem neu formulierten § 98,3 : „Als anwesend gelten auch Mitglieder, die nach § 2a ausgeschlossen sind.“ (zit. nach: Thamer, Verführung und Gewalt, S. 274) Für die 94 noch verbleibenden SPD-Abgeordneten stand jedoch fest, dass sie ihre Zustimmung für das Ermächtigungsgesetz verweigern würden. „Überlegungen der SPD in der Fraktion“]
Das Ermächtigungsgesetz wurde schließlich mit 444 zu 94 Stimmen angenommen und die Nationalsozialisten konnten von nun an ohne die Zustimmung von Reichstag und Reichsrat Gesetze erlassen, auch solche, die im Widerspruch zur Reichsverfassung standen.

Damit hatte sich das deutsche Parlament in dieser denkwürdigen Sitzung vom 23. März 1933 selbst aller Befugnisse entledigt. Ab diesem Tag hörte jegliches parlamentarische Leben in Deutschland auf. Das Gesetz ermächtigte die Regierung für vier Jahre ohne die Mitwirkung des Reichstages Gesetze zu erlassen, und zwar ausdrücklich auch solche, die von der Verfassung abwichen. Die legislative Gewalt war auf die Exekutive übergegangen und damit das grundlegende Prinzip der Gewaltenteilung der modernen Demokratie außer Kraft gesetzt worden. Die einschränkenden Bestimmungen, die das Gesetz enthielt, hat Hitler später samt und sonders nicht berücksichtigt. Was folgte, war die Ausschaltung der Parteien aus dem öffentlichen Leben, die er eben noch gebraucht hatte, um sich den Mantel der Legitimität umlegen zu können.
Literatur:
Josef Felder. Warum ich Nein sagte. Reinbek bei Hamburg, 2002
Hans-Ulrich Thamer. Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Berlin 1994 (S. 274 f.)
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/ermaechtigungsgesetz/
Carolin Metz, Alexandra Frisch